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»Ich wünsche mir Frieden.«

Mohamed erzählt Euch seine Geschichte

 

Mohamed Shah (*), 20 Jahre alt, geflohen aus Afghanistan. Über Pakistan, den Iran und die Türkei über die »Balkan-Route« nach Deutschland, zunächst in Kamen, dann in Unna – lebt und geht in Unna zur Schule

Interview mit Michael Koch am 17. September 2021; Texterfassung von Michael Koch (Auslassungen, Anpassungen von Grammatik; Wörterergänzungen und Worterläuterungen in Klammern)

Mohamed hat die Zusage zum Interview gegeben, möchte aber »nicht erkannt« werden. Er fühle sich sonst nicht sicher, sagt er. Dieser Wunsch wird durch das Projekt respektiert. Namen oder Institutionen, die ihn konkret »erkennbar« machen würden wurden anonymisiert bzw. werden nicht genannt.

 

Michael Koch: Mohamed, wie hast Du in Afghanistan gelebt, bevor Du geflohen bist?

Mohamed Shah: Ich habe in einem Dorf gewohnt. Das war ein kleines Dorf (nennt den Dorfnamen). Eigentlich normal. Das war nicht groß. Wir haben in einem Haus gewohnt. (Das war) etwas klein. Kein(en) Strom, aber Wasser. Mama, mein Vater und (…) drei Brüder. Zwei Schwester(n). Eine zehn, elf. Zwei (Brüder waren es, weil…) einer war dann nach Kabul gegangen, war er da in der afghanischen Armee. Zu Hause war alles (…) normal. Mein Vater hat gearbeitet im Feld (als Bauer) mit Familie, aber er hat auch geschlachtet. Er war dann auch weg und hat woanders gearbeitet. In einem anderen Dorf bei der Familie. Meine Mama war zuhause. Ich habe Zuhause geholfen und meinem Vater. Wir haben dort nicht viel (…), aber wir haben genug zu essen. Es reicht. Aber nicht viel. Es war auch schön (gewesen). Ich bin zur Schule gegangen.

Vielleicht vier oder fünf Jahre…? Eine Zeit war die Schule zu. Ich war noch in einer anderen Madrasa (Schule, gemeint hier wohl eine Koran-Schule).

Ich bin Hazara. Die Taliban haben (eine) andere Religion als wir (der Taliban gehören mehrheitlich Paschtunen an, die sunnitische Muslime sind; Hazara sind i.d.R. Schiiten). Sie haben kein(n) Respekt vor uns. Weißt Du, Paschtunen sind gar nicht so viel, es gibt mehr von uns (was auf die Hazara-Region gewiss zutrifft; auf ganz Afghanistan gerechnet sind die Paschtunen mit etwa 40% tatsächlich die größte der Volksgruppen). Und sie haben uns gedroht. Mein Bruder sollte mitgehen. Und für die Taliban kämpfen (…). Nicht kämpfen, aber eine Bombe oder so. Und Geld. Er wollte das nicht. (…) Er wurde geschlagen und gedroht (bedroht). Aber er wollte nicht. Er war weiter geschlagen (worden). Er hat erzählt (...) er soll Taliban helfen. Dann haben sie ihn wieder geschlagen und gesagt, kommt er nicht (mit) oder macht er nicht das (mit) dann töten sie ihn. (…) Und auch den Bruder, wenn er aus Kabul kommt (wohl der Bruder in der afghanischen Armee). Es war sehr schlimm. Ich habe das gesehen. Ich hatte Angst (…um) meine(n) Bruder.

Bei der Armee war es nicht schön für meinen andere(n) Bruder. Viele waren (dort) Tadschik(en) und Paschtunen. Kein Respekt. Er wollte nach Hause. Er ist da nicht frei(willig) gewesen. Weil man bekommt Geld. Das ist viel für uns. Das war der Grund. Zuhause gab das nur Problem(e). Mein Vater wollte, er soll nach Hause kommen (…). Weil er dort arbeiten sollte, (und) nicht in Kabul. Nicht bei der Armee.

 

Michael Koch: Du bist dann geflüchtet? Wie war das? Was hast Du auf der Flucht erlebt?

 

Mohamed Schah: Mein Vater sagt dann, dass ich aus Afghanistan rausgehen sollte. Zu viel(e) Gefahr(en). Und die Taliban kommen wieder. Oder ich soll(te) zur Armee oder so. Mein Vater hat das alles gemacht (die Flucht organisiert). Ich bin dann mit eine(m) Cousin gegangen.

Wir sind mit einem Auto nach Pakistan gefahren. Ein Cousin und noch zwei andere. Mein Cousin kommt aus einem anderen Dorf. Von dort (Pakistan) sind wir dann mit anderen nach Iran gegangen. In Iran waren wir so ein(en) Monat. Oder zwei… und sind dann mit einer Gruppe weiter nach Türkei. Eine große Gruppe. Vielleicht zehn oder 20 oder so. Ich weiß es nicht mehr so genau. Wir waren da auch in einem Haus. Die Leute waren unfreundlich und haben geschrien (…nachgefragt: Wer? Die Schlepper?) Ja, das waren die Schlepper, sie waren sehr unfreundlich. Wir haben nur wenig Essen bekommen. Und nur Wasser. Und dann sind wir weiter. Mit (einem) LKW, nach (der) Türkei. Das war schlimm. Dann hatten wir einen anderen Wagen (…) LKW bekommen. Und weiter. Wir waren dann wieder in einem Haus. Die ganze Gruppe. Ich weiß nicht, wo das war… (macht eine Pause). Wir durften auch nicht weggehen, aus dem Haus gehen. Nur wenn es dunkel war. Einige(n) hat man auch die Handys weggenommen. Und Geld. Es kam dann eine andere Gruppe (neu) dazu. Mein Cousin sollte mit den anderen gehen. Wir sind aber dann zusammen (geblieben) und weiter gefahren. (…) Ich war sehr glücklich, weil mir ging es nicht gut (…), schlecht. Ich hatte eine (…) Erkältung und fühlte mich nicht gut, gezittert... Mein Kopf fühlte sich sehr schlecht an. Mein Cousin war immer da (gemeint: für mich). Wir waren länger in (der) Türkei… ein paar Wochen (macht eine Pause).

 

Michael Koch: Wie ging es dann weiter. Seid ihr mit einem Boot nach Griechenland?

 

Mohamed Shah: Nein nicht Boot. Wir waren da so unterwegs. Wir waren in einem LKW. Sehr lang. Zwei Tage oder so (...). Es war kalt, dunkel. Wir mussten dann auch einen Tag laufen. Zwei Tage. In der Nacht (…). Es war auch kalt. Dann hat uns wieder ein Auto abgeholt. Mein Cousin war auch noch da. (Irgendwann) war dann da Polizei. Sie haben uns aus dem LKW geholt (...). Sie sagten irgendwas (in einer anderen Sprache), was wir nicht verstanden. Die haben was gesucht (uns durchsucht) und haben meinem Cousin (ein) Dokument weggenommen. Dann fuhren wir weiter. Ich weiß nicht, wie lange das war (dauerte). Ich hatte Angst, wir werden entdeckt… und gefangen. Und dann waren wir in Deutschland. (Mohamed weist darauf hin, dass er nicht über Griechenland eingereist ist, sondern auf der sogenannte »Balkanroute« über Bulgarien, Serbien usf. gefahren ist. Auf dieser Route wurden in geschlossenen Kraftfahrzeugen Menschen »geschmuggelt«; oft wohl in Kenntnis von Ordnungshütern aus diesen Ländern.) Wir sind aus dem Auto raus. Aus dieser Box (geschlossener Ladebereich) Es war Dunkel und wir sind gelaufen (…). Dann waren da Leute und dann Polizei. Die hast uns mitgenommen.

 

Michael Koch: Du bist dann in Deutschland angekommen. Wie War das für Dich?

 

Mohamed Shah: Ja (…). Ich bin dann nach Unna gekommen und kurz im Lager (gewesen; gemeint ist die Erstaufnahmestelle Unna-Massen) und dann in der Jugendhilfe. Das war im Winter. Nicht Unna, nach Kamen bei A. (eine Jugendhilfeeinrichtung). Ich hatte ein Zimmer. Mein Cousin war nicht bei A. (in der Jugendhilfe).

 

Wegen Alter. Viele andere (…), auch aus Afghanistan. Aber nur Flüchtlinge. Die (Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe) haben mir dort immer geholfen. Das war gut. Mit der Sprache und alles. Ich hab auch eine Taskira bekommen. Und die Duldung… dabei haben sie auch geholfen (mit Taskira ist eine Art afghanischer »Personalausweis« bzw. Identitätspapier gemeint). Mein Asylantrag wurde dann bei(m) BaMF gestellt. Das hat sehr lang gedauert. War aber abgelehnt (…). Dann beim Gericht gab es aber einen Erfolg (zur Erklärung aus dem Vorgespräch: Mohamed klagte nach zweifacher Ablehnung des Asylgesuchs beim zuständigen Verwaltungsgericht und bekam ein sogenannte »Nationales Abschiebeverbot«, also einen – schwachen – Aufenthaltstitel, der für jeweils ein Jahr befristet ist). Da war ich aber nicht mehr bei A. (in der Jugendhilfe). Es war richtig gut da! Ich bin zur Schule gegangen, zum B.-Berufskolleg (…) mit Abschluss. Das war später (Mohamed hat einen Hauptschulabschluss nach Klasse 9 abgeschlossen). Wir konnten afghanisches Essen kochen. Jetzt bin ich in einer Wohnung in Unna mit eine(m) Kumpel. Jeder hat sein Zimmer. Alles gut. Wir haben auch besuch. Und ich mache weiter mit Schule. Und dann vielleicht Ausbildung.

 

Michael Koch: Wie erlebst Du Unna? Was gibt es für positive oder negative Dinge?

 

Mohamed Shah:Nein, nichts Negatives. Ja (…), die Schule ist gut. Die Wohnung und alles. Ich bekomme Hilfe (gemeint: er wohnt zwar schon »allein«, bekam aber bis vor kurzem durch die  Jugendhilfe noch Unterstützungsangebote). Unna ist ganz schön, die Leute sind gut (er lacht), in Deutschland hab ich nur gute Erfahrungen gemacht (…). Dortmund ist besser (…), mehr los, mehr Kumpel. Ich fahre da oft hin. Aber hier in der Stadt kenne ich mich ganz gut aus. Nee, ist schon alles gut. Man kann hier gut wohnen, leben (…).

 

Michael Koch: Du warst sehr vorsichtig, mir, dem Projekt, ein Interview zu geben und möchtest auch nicht gern erkannt werden. Möchtest Du dazu etwas sagen – hat das mit der aktuellen Situation in Afghanistan zu tun?

 

Mohamed Shah:Ja. Damit. (Die) Taliban hat jetzt die Macht. Ich habe Angst wegen (der) Familie. Wegen Freunde(n). Was passiert da? Warum hat (uns) niemand geholfen? Ich war bei der Beratung. Bei der Beratung (Flüchtlingsberatung in Unna) gefragt, kann meine Familie nach Deutschland kommen? Wie kann ich das tun? Gibt es da was. Aber (…) da gibt es nicht viel. Wurde mir gesagt. Ich bin auch zu alt (gemeint: Ein Familiennachzug ist meist eine Angelegenheit, dass Minderjährige ihre Eltern »nachziehen« lassen können). Auch das mein Bruder bei der Armee (war, ist wohl nicht ausreichend). Ich möchte aber was tun, und nicht einfach so (herum)sitzen! Was soll man tun? (…) Ich habe auch keinen Kontakt im Augenblick (nach Afghanistan). Erst schon (…). (Die) Taliban sind die Sieger. Sie dürfen alles. Sie benehmen sich wie ein Sieger, wie König(e). Sie schießen in der Straße (…) Wer will das? Es ist ganz schlimm. Du siehst das im Fernsehen. Kann ich gar nicht hingucken (…) Man kann nicht wissen, was passiert. Du kannst auch nicht (niemandem) vertrauen. Die (alte) Regierung war auch nicht gut. Aber Taliban ist noch schlimmer. Von Freunden weiß ich (...), die sagen, was alles passiert. Sie wollen weg (...Mohamed nennt einen Freund/Cousin; hier nicht wiedergegeben). Du weißt nicht (…), wer gehört zu(r) Taliban. Auch hier. Wer ist ehrlich. Und was kommt? Ich weiß nicht. Ich habe da nur Angst. Ich glaube keinem. Nichts. Ich wünsche mir Frieden. Aber das ist alles zu schlimm (…).

 

Vielen Dank, Mohamed!

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