top of page

Landnahme, Land-Grabbing

 

 

Der Begriff »Landnahme« beschreibt häufig meist illegitime, durch die Stammbevölkerung unerwünschte Einwanderung, häufig im Verständnis von »Eroberung« fremder Territorien; der Begriff steht im Sinne einer mit Gewalt (häufig Krieg) erzwungenen Aneignung bzw. Machtübernahme und wird häufiger in historischen Zusammenhängen benutzt (vgl. die »Eroberung der neuen Welt« vor allem durch Spanien nach 1492).

Modern hingegen ist der Begriff der potenziellen Migrationsbewegungen auslösenden »Land-Grabbings« (vgl. Bartz u. Holdinghausen 2015, 26f) – auch wenn das beschriebene Phänomen schon älter ist. Konkret geht es um die teils illegitime, teils zumindest moralisch fragwürdige Aneignung oder Neuverteilung von Territorien, Boden oder natürlichen Ressourcen. Diese können einen Migrationsdruck erzeugen, maximal sogar die Lebensgrundlage der Stammbevölkerung vernichten. Die Ausdehnung der USA nach Osten im 19. Jahrhundert (die staatlich sanktionierte Verdrängung der indigenen Völker durch europäisch-stämmige Siedler) steht hierfür als Beispiel.

Land-Grabbing kann in Bezug auf staatliche Akteure aber auch friedlich verlaufen – siehe hierzu ebenfalls das Beispiel der USA, die das riesige Alaska-Territorium 1867 dem russischen Zarenreich abkaufte und in das eigene Staatsgebiet eingliederte.

Seit etwas mehr als zwei Jahrzehnten spielt vor allem das nichtstaatliche Land-Grabbing eine bedeutende Rolle. Gemeint ist der weltweite Landaufkauf oder die »Pacht« durch internationale Konzerne. Besonders asiatische Firmen sind hier aktiv. Im Fokus stehen Schwellenländer und besonders Staaten in Subsahara-Afrika, wo sie sich Nutzungsrechte bzw. damit Gewinnanteile auf Bodenschätze, Infrastrukturnutzung und neuerdings auf Landwirtschaftserträge sichern. Zu erwartende Gewinne beim Weiterverkauf oder Unterverpachtung von Grund und Boden sind ebenfalls ein bedeutender Anreiz (vgl. Rinke 2009). »Die Geschädigten sind wieder einmal die Kleinbauern«, formuliert Grill (2012, 389) mit Blick auf Afrika, denn »sie verlieren ihre Anbauflächen [...]. Die Gewinner sind global operierende Konzerne, Banken, Hedgefonds, Spekulanten – und die herrschenden Cliquen Afrikas, die Kompradoren, die das Land als unverhoffte Bereicherungsquelle entdeckt haben und beim internationalen Monopoly mit höchsten Einsätzen mitzocken.«

Beispielhaft mag hier die Republik Guinea sein. Guinea ist in Bezug auf den Lebensstandard ein sehr armes Land. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt am oder unterhalb des Existenzminimums. Es ist jedoch ein Land, das reich an Bodenschätzen ist. Guinea ist weltweit der drittgrößte Bauxit(Aluminium)-Produzent mit den größten vermuteten Reserven und besitzt wahrscheinlich auch die größten Reserven an Eisenerz in der Welt. Die Bevölkerung profitiert davon nicht. Bergbau-Konzerne aus Russland, China und Europa/Australien (Rio Tinto) haben die Claims unter sich aufgeteilt, sofern sie nicht heftig untereinander darüber streiten (vgl. Hosp 2021). Der Guineische Distrikt, in dem sich die Abbaureviere befinden, erhält 0,01 (sic!) Prozent vom Gewinn der Gesellschaften. Also praktisch nichts – stattdessen aber kleine »Geschenke«, wie z.B. Stromanschlüsse in einigen Gegenden (ein geringer Aufwand, da die Siedlungen ehedem an der Stromtrasse der Abbaukonzerne liegen) und Briefkästen für einige kleine Dörfer (s. Abb. unten), was wegen anderer drängenderer Probleme und mangels Postsendungen und eines funktionierenden Postwesens eher an einen schlechten postkolonialen Scherz erinnert. Das für die Konzerne gewinnbringende, für Guinea indes schlechte Geschäft mit dem Bauxitabbau führte die guineische Regierung immerhin zu der Idee, die Konzessionen für den Eisenerzabbau erst dann freizugeben, wenn die interessierten Unternehmen (auch hier zunächst Rio Tinto) sich verpflichteten u.a. eine über 600 Kilometer lange Eisenbahnstrecke und einen neuen Hafen in Guinea zu bauen. Diese, auch für die gesamte Infrastruktur Guineas interessante Investitionen, die zudem auch längerfristig Arbeitsplätze sichern können, scheinen die Bergbauunternehmen im Augenblick aber zu scheuen. Bislang hat sich kein Unternehmen bereit erklärt in diese »Vorleistung zu gehen« (vgl. ebd. u. DWCOM 2010 u. 2012).

oot.jpg

Rio Tinto Briefkasten in Bevla Guinea; Foto: reuters; Gerald Hosp: in NZZ 2021

An dieser Stelle ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass Land-Grabbing nicht unbedingt nur aus rücksichtslosen Profit-Gründen stattfindet. In Tansania beispielsweise versucht die Regierung die in der heutigen Zeit ökologisch problematische Viehwirtschaft zurückzudrängen. Sie wandelte ehemals freie Weideflächen in Naturreservate um, die an Unternehmen eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) modernen nachhaltigen Tourismus verpachtet werden. Diese auf den ersten Blick günstige Win-Win-Situation (Nachhaltigkeit plus Gewerbe-/Steuereinnahmen) zerstört jedoch u.a. die traditionelle Lebensgrundlage der Massai-Viehwirtschaftskultur und sorgt für Migrationsdruck (vgl. Pearce 2012, 258ff).

Land-Grabbing vollzieht sich aber nicht ohne Widerstand bei den betroffenen Menschen vor Ort. Neben lokalen Unruhen gab und gibt es durchaus ausgedehnte, landesweite Rebellionen, wie das Beispiel der Panguna-Mine in Papua-Neuguinea zeigt. Wegen Missachtung der ansässigen Bevölkerung und ursprünglichen Grundeigentümer, Korruption und enormen Umweltschäden durch den dort exklusiv Kupfer, Gold und Silber fördernden Bergbaukonzern (auch hier: Rio Tinto Group) kam es zu Terroranschlägen gegen den Konzern und örtliche Behörden. Diese mündeten in bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit separatistischen Bestrebungen und führten schlussendlich im Jahre 2019 sogar zur Autonomieerklärung der Region Bougainville. Die geschlossene Panguna-Mine wurde nicht wieder eröffnet, obwohl ein Gewinn bringender Betrieb sicher erscheint – zu groß sind hier die Befürchtungen der einheimischen Bevölkerung gegenüber den internationalen Konzernen, erneut ausgebeutet zu werden (vgl. MacDonald 2019). Als weiteres Beispiel mag Madagaskar dienen. Hier stürzte die Bevölkerung zusammen mit dem Militär 2009 den Präsidenten Marc Ravalomanana, der u.a. versucht hatte nahezu die Hälfte des gesamten madagassischen Ackerlandes für 99 Jahre an den südkoreanischen DAEWOO-Konzern zu einem »Schleuderpreis« zu verpachten (vgl. Grill 2012, 388f).

bottom of page